Wir sind stolz, die Snowboard-Legende José Fernandes, den ersten Weltmeister Europas, zu einem Interview begrüssen zu dürfen.
In einem exklusiven Gespräch gewährt uns José spannende Einblicke in die Anfänge des Snowboardens, seine persönlichen Highlights und die Entwicklung der Szene über die letzten Jahrzehnte.
Freut euch auf inspirierende Geschichten und Anekdoten aus der Zeit, als Snowboarding noch ein verrücktes Abenteuer war.
Bildunterschrift: José Fernandes, der erste Snowboard-Weltmeister aus Europa, prägte die Snowboard-Szene wie kein anderer und ist eine wahre Legende.
… Snowboard war für uns im Wintersport, was Rock’n’Roll war in der Musikwelt. Antiestablishment. …
Bitte stelle dich kurz vor.
Ich heisse José Fernandes, Sohn einer Schweizer Mutter und eines portugiesischen Vaters. In Wallenwil/Eschlikon TG in die Primarschule und Sekundarschule gegangen.
Die Hügel des «Hinter-Turgi» waren mein Playground. Ski, Skateboard, Fahrrad und dann irgendwann Ende der 70er Jahre die ersten Schneeversuche mit dem Bügelbrett, was dann irgendwann mal die ersten Snowboards waren.
Wann und wie hast du Radical das erste Mal kennengelernt?
Der Radical Snowboard Club Zürich war der erste Berührungspunkt, gleichzeitig mit den ersten Boards, die Mäge Farner gebaut hatte. 1986 die ersten CH-Meisterschaften in St. Moritz und ein etwas erboster Tom Sims, der nicht so amused war bezüglich der Form der ersten Radical-Modelle.
Es bahnte sich eine lange Freundschaft mit Mäge an. Denn Mäge sollte schon bald meine Prototypen für die Wettkämpfe bauen. Das war in der Zeit, als ich Sims-Teamfahrer war und danach auch noch Renault Snowboards…
Erzähle uns vom Goldvreneli Board.
Zusammen mit Radical waren wir unserer Zeit voraus und haben ein Board konzipiert, das weit über 2’500 CHF kosten sollte. Ganz in Schwarz, mit einem Goldvreneli in die Schaufel eingelassen und vergoldeten Fritschi-Plattenbindungen. Dazu gab es einen langen Alukoffer für die stilgerechte Aufbewahrung und den Transport.
Unnötig zu erwähnen, dass das Ding niemand haben wollte und auch kein einziges Modell verkauft wurde. Ein paar Jahre später wurden die zwei Modelle aus meiner Garage in Nizza gestohlen und sind nie wieder aufgetaucht.
Bildunterschrift: José Fernandes mit dem legendären Goldvreneli-Board, einem speziellen Modell, gefertigt von Radical.
Kannst du dich an das erste Mal erinnern, als Du ein Snowboard gesehen oder ausprobiert hast?
Der Swiss Landsurfers Club (Skateboard-Club aus Zürich) war massgeblich das Nest, wo erste Bilder aus den amerikanischen Skatemagazinen herumgereicht wurden. Video und YouTube oder Google gab es noch nicht. Nur Fotos.
Dann hat jeder für sich zu Hause gebastelt. Skateboard mit zwei kleinen Skiern unter den Achsen. Man konnte nur geradeaus fahren und den Handstand üben. Aluminium-Holz-Aluminium-Laminate aus der Swissair-Werkstatt waren die ersten Boards, die erfolgreich im Tiefschnee funktionierten. Erstes Sims-Snowboard aus den USA bestellt. Ohne Stahlkanten, ohne Belag, ohne Bindung, dafür mit drei Finnen… Lebensdauer etwa drei Wochenenden, dann delaminierten und lösten sich die Snowboards „Made in USA“ auf.
Das Gefühl aber, als wir merkten, dass wir bei genügend Pulverschnee, steilen und jungfräulichen Hängen weitaus mehr Spass hatten als Skifahrer, liess uns mit unseren Glückshormonen und Endorphinen nicht mehr stoppen.
Wie war es, in den frühen Tagen des Snowboardens dabei zu sein?
Zu Beginn war es der Ansporn, unser Skateboarden in den langen Wintermonaten und auf nassen Strassen weiter zu betreiben. Daher auch Sneakers mit Plastiksäcken als Schuhwerk. Aber bald war klar, dass die Möglichkeiten, unsere Bergwelt in der Schweiz mit diesen neuen «Bügelbrettern» zu erkunden und uns zu zeigen, unsere Fantasie beflügelt haben und es unsere Chance war, anders zu sein. Snowboarden war für uns im Wintersport, was Rock’n’Roll in der Musikwelt war. Antiestablishment.
Bildunterschriften:
- Gletscher Abfahrt
Bildunterschrift: José Fernandes bei einer beeindruckenden Abfahrt auf dem Gletscher. - Slalom Training mit Stangen
Bildunterschrift: José Fernandes beim intensiven Slalom-Training mit Stangen – Perfektion der Technik für den Wettkampf. - Wettkampf Abfahrt
Bildunterschrift: José Fernandes in voller Action während einer Wettkampf-Abfahrt – Geschwindigkeit und Präzision auf höchstem Niveau. - José Fernandes auf der Titelseite des Snowboarding Magazine, 1985
Bildunterschrift: José Fernandes, erster Snowboard-Weltmeister aus Europa, auf der Titelseite des Snowboarding Magazine, 1985 – ein Meilenstein in seiner Snowboard-Karriere.
… Nei, nei mit däne Plänku fahred ihr da nöd ufe! …
Gibt es besondere Momente aus den frühen Tagen des Snowboardens, die du mit uns teilen möchtest?
Ich denke, die Liste ist endlos. Es gibt tausende Geschichten. Echt schwierig, die eine oder andere Geschichte auszugraben. Aber vielleicht die Geschichte mit den Bestechungsstrategien des Liftpersonals in fast allen Skidestinationen.
Der Ticketkauf ging noch ganz normal vonstatten. Aber wenn wir dann mit unseren Brettern in die Nähe der Liftjungs kamen, hieß es … „Nei, nei, mit däne Plänku fahred ihr da nöd ufe!“
Das kann man sich heute fast nicht mehr vorstellen. Aber das war unser Alltag. Also haben wir Schokoladen und Weinflaschen mit Snowboard-Etiketten verziert und die Boys bestochen. Und dort, wo das nichts nützte, haben wir bei alten Skiern die Skispitzen abgeschnitten, die Bindungen nach vorne montiert und sie für die Beförderung angezogen, danach im Rucksack verstaut …
Als ich 1985 zum ersten Mal nach Amerika/Kanada geflogen bin, um an einem Wettkampf teilzunehmen, waren die ganzen Amis aus den Magazinen da:
Tom Sims, Mark Heingartner, Andy Coghlan, Terry Kidwell, Bob Klein. Sie haben mich alle gefragt, wie viele Snowboarder es überhaupt in Europa gibt. Keiner hatte uns auf dem Schirm. Und dann kommt so einer mit Sponsoren und fährt direkt aufs Podium bei den Pros und auf die Titelseite des ersten Snowboard-Magazins.
Der Anfang zeichnete sich dadurch aus, dass wir uns alle kannten und uns gegenseitig halfen, an Material zu kommen, neue Dinge ausprobierten. Reparaturen und Neuentwicklungen unter der Woche waren fast so wichtig wie das Wochenende in den Bergen. Zwei Runs mit vier Turns, da war man der Held. Danach wieder ab in die Werkstatt, weil irgendwas kaputt war.
Kein Wunder, dass ich keine Zeit oder Interesse für die Schule hatte und hochkant aus dem Gymnasium geworfen wurde.
Was sind deine grössten und unvergesslichsten Erfolge?
Ganz ehrlich muss ich da sagen, der Weltmeistertitel 1987 in Breckenridge, Colorado, und das gemeinsame Podest mit der Legende Craig Kelly. Doch für mich sind die ganzen Titel (Weltmeister, Europameister, Schweizermeister) und alle anderen Trophäen nicht wichtiger als die langjährigen Freundschaften, das Netzwerk und die noch bis heute anhaltenden jährlichen Kontakte mit all diesen grossartigen Menschen, die Pioniere und Legenden unseres Sports.
Welche Auswirkungen hatte die WM 87 in Livigno/St. Moritz, die Mark und der Radical Snowboarding Club Zürich organisiert haben, auf den Sport?
Ich denke, dass der Radical Snowboarding Club schon im Jahr zuvor die Basis für den internationalen Wettkampfsport gelegt hat mit der ersten offenen Schweizermeisterschaft in St. Moritz. Die WM in Livigno und St. Moritz hat in der Folge Snowboard-Wettkämpfe zum ersten Mal in die Medien gebracht. Sponsoren, Preisgelder und Titel für die Athleten haben den Profisport und die rasante Entwicklung zur olympischen Disziplin ermöglicht.
Bildunterschriften:
- José Fernandes und Mark Farner bei der Weltmeisterschaft 1987
Bildunterschrift: José Fernandes und Mark Farner bei der Snowboard-Weltmeisterschaft 1987 – zwei Pioniere der Snowboard-Szene im Austausch. - Carvingpose
Bildunterschrift: José Fernandes in einer kraftvollen Carvingpose – Perfektion und Stil auf der Piste. - Laydown
Bildunterschrift: José Fernandes beim Laydown – eine beeindruckende Demonstration seiner Kontrolle und Technik beim Snowboarden.
Was würdest du jungen Snowboardern heute mit auf den Weg geben?
Die Snowboardgeschichte ist noch lange nicht am Ende angelangt. Wenn überhaupt, ist gerade der erste Zyklus durch. Snowboarding hat den Freestyle-Lifestyle in die Wintersportindustrie gebracht, einen ganzen Wirtschaftsbereich zu neuem pulsierendem Leben erweckt und animiert. Nun sucht Snowboarding seine Identität und wird sich neu erfinden, es ist aber hier, um zu bleiben.
Den jungen Athleten kann ein alter Hase wie ich nur sagen: Verliert nicht den Spass und die Freude, jeden Tag aufs Brett zu gehen. Findet die intrinsische Motivation, unangepasst zu sein und unmögliche Dinge greifbar zu machen und auszuprobieren.
Es stärkt die Persönlichkeit und ist eine Basis für alle Lebenslagen. Snowboarden ist nicht nur Sport, sondern eine Lebenseinstellung.
Das beste Studium, das ich bekommen konnte – ohne Abitur und Matura …
Wie hast du die Gründung und Entwicklung von Radical erlebt?
Wie schon gesagt, da sind Freundschaften entstanden, die bis heute noch halten, auch wenn wir uns nicht jeden Tag sehen. Der Respekt für das Geleistete ist gegenseitig und immer präsent. Mäge Farner hatte damals seinen Weg eingeschlagen, und wir sind im Sog mitgelaufen. Er ist seiner Passion bis heute treu geblieben, und das macht Radical aus – damals wie heute.
Bildunterschrift: Mark Farner und Werkstattchef Bruno Baeza präsentieren stolz die von Radical gefertigten Sims Profibretter – ein bedeutender Moment in der Snowboard-Geschichte.
Wie hat Radical deiner Meinung nach den Sport beeinflusst?
Es gab eine Zeit, in der Radical die Prototypen der weltbesten Snowboarder gemacht hat. Übrigens der Grund, warum Jake Burton mich nie hat überreden können, für Burton zu fahren. Meine Bedingung war immer, eigene Boards fahren zu dürfen (Radical von Mäge). Jake wollte das nicht, und damals waren die Burton-Boards nicht gerade die Crème de la Crème … 😉 Heute ist das anders.
Mäge mit Radical hat die Entwicklung der Boards wesentlich geprägt und vorangetrieben. Damals war die Beschleunigung in der Forschung und Entwicklung wöchentlich, nicht jährlich.
Wie hast du die Entwicklung des Snowboardens in der Schweiz und weltweit erlebt?
Das Niveau der Athletinnen und Athleten ist absolut unfassbar geworden. Höchsten Respekt, besonders auch für die SchweizerInnen, die dranbleiben und Höchstleistungen im World Cup abliefern. Ich bin immer wieder gerne Gast in Laax am OPEN. Es geht nichts darüber, das Spektakel live zu sehen und miterleben zu dürfen. Wer hätte das gedacht, als wir vor fast 40 Jahren als Snowboarder unsere Halfpipes noch mit der Hand schaufeln mussten.
Freeride, Freestyle, BoarderCross und Halfpipe – alles hat seine Berechtigung und bringt den Sport ins Fernsehen.
Den Erfolg macht jedoch die persönliche Erfahrung, einen Hang hinunterzugleiten wie damals die Hawaiianer auf ihren Holzbrettern in der Brandung, als sie Captain Cook begegneten.
Dieses Gefühl kann mit Leichtigkeit von Menschen aller Altersgruppen und Herkunft ausgeübt werden – allein oder mit FreundInnen. Das hat vor allem den Durchbruch beflügelt und ist heute noch der Grund, warum so viele das Snowboarden für sich entdecken.
Wie siehst du die Zukunft des Snowboardens?
Die Snowboard-Szene erlebt derzeit eine Rückbesinnung auf ihre Ursprünge. Aus dieser Bewegung entstehen neue Konzepte, Techniken und möglicherweise auch neue Disziplinen. Ein Beispiel hierfür ist das von Travis Rice initiierte Format “Natural Selection”, das Freestyle-Tricks mit Freeride-Kunst auf natürlichen Geländen kombiniert.
Mit den fortschrittlichen Visualisierungsmöglichkeiten und modernen 360-Grad-Kameras können Snowboarder ihre Erlebnisse immersiver festhalten. Kameras wie die Insta360 X4 bieten 8K-Videoaufnahmen und ermöglichen beeindruckende Rundum-Aufnahmen.
Diese Technologien lassen uns tiefer in die Welt des Snowboardens eintauchen und machen die Erlebnisse noch greifbarer.
Es bleibt spannend zu sehen, welche Entwicklungen und Innovationen die Zukunft des Snowboardens bereithält.
Möchtest du zum 40-jährigen Jubiläum eine Nachricht an uns richten?
Bleibt wachsam, verschliesst euch nicht, denkt daran, dass eure Wurzeln in der Neugierde und dem unermüdlichen Drang, Neues auszuprobieren, eures Gründers Mäge Farner liegen. Gebt euch nicht zufrieden mit Second Best … Radical steht für Pionierkunst und Exzellenz im Wintersport.
Herzlichen Dank für das Interview José!
Bildunterschrift: José Fernandes, heute ein erfolgreicher Geschäftsmann
Radical Legends: Unsere Geschichte, erzählt von denen, die sie geprägt haben
Zum 40-jährigen Jubiläum haben wir uns auf eine Reise in die Vergangenheit begeben und einige ausgewählte Radical Legenden aus unserer bewegten Geschichte aufgesucht.
Mit grosser Freude laden wir euch ein, gemeinsam mit uns in die Geschichte einzutauchen und die besonderen Momente wieder aufleben zu lassen. Bis zum Ende des Winters werden wir weitere spannende Gespräche veröffentlichen – also bleibt dran und lasst euch inspirieren!
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