Wir freuen uns sehr, Roland Primus, einen prägenden Pionier der Snowboard-Szene, für ein Interview bei uns willkommen zu heissen.
Als Gründer der weltweit ältesten Snowboardschule und Pionier der Snowboard-Lehrerausbildung, hat er die Entwicklung des Sports entscheidend geprägt. Als Gründungsmitglied des SSBA und SSBS kämpfte er nicht nur für die Anerkennung des Snowboardens als Wintersport, sondern trug massgeblich zur Professionalisierung des Snowboardunterrichts in der Schweiz bei. Mit unermüdlichem Einsatz und visionären Ideen setzte er neue Massstäbe und schuf eine Grundlage, die bis heute Einfluss auf den Schneesport hat.
In einem exklusiven Gespräch gewährt uns Roland spannende Einblicke in die Anfänge des Snowboardens, seine persönlichen Highlights und die Entwicklung der Szene über die letzten Jahrzehnte.
Freut euch auf inspirierende Geschichten und Anekdoten aus der Zeit, als Snowboarding noch ein verrücktes Abenteuer war.
Bild: Roland Primus
Bitte stelle dich kurz vor.
Mein Name ist Roland Primus und ich bin der Gründer der ältesten Snowboardschule der Welt.
Als Gründungsmitglied des SSBA (Swiss Snowboard Association) und des SSBS (Schweizer Schneesport Berufs- und Schulverband) habe ich nicht nur beim Aufbau dieser Verbände mitgewirkt, sondern auch mein Leben dem Unterrichten des Snowboardens gewidmet.
Durch meine aktive Karriere als Weltcup-Fahrer für Burton konnte ich wertvolle Erfahrungen sammeln. Neben meiner Trainerausbildung gründete ich sämtliche nationalen Snowboard-Teams der Schweiz. Doch der Weg dahin war nicht immer einfach.
Bildunterschriften:
- Vorabgletscher bei Flims-Laax, späte 1980er Jahre
- Hardboot-Powderturn, unbekannter Ort, Mitte der 1980er Jahre
Wie war es, die weltweit erste Snowboardschule zu eröffnen?
Als ich 1986 eine Snowboardschule eröffnen wollte, stellte ich fest, dass dies nur mit der Zustimmung der örtlichen Skischule möglich war. Diese Regelung empfand ich als unfair. Also entschied ich mich, dagegen vorzugehen – mit weitreichenden Konsequenzen. Ich verklagte das zuständige Departement sowie den Kanton Graubünden vor Bundesgericht und gewann. Dies führte zu einer Gesetzesrevision, einer Volksabstimmung und schliesslich zur Annahme der freien Marktwirtschaft im Dienstleistungssektor Schneesport. Damit war es offiziell erlaubt, Snowboardschulen unabhängig von Skischulen zu betreiben.
Aus Sicht der Schweizer Skischulen machte mich dieser Erfolg wohl zum unbeliebtesten Snowboarder der Schweiz. Doch für mich war es ein wichtiger Schritt für die Zukunft des Snowboardsports.
Es folgte ein 30-jähriger Kampf für die Rechte und Möglichkeiten des Snowboardens, um diesen Sport als festen Bestandteil des Wintersports zu etablieren. Mein Ziel war es, jedem die bestmöglichen Voraussetzungen zu bieten, um Snowboarden zu erlernen – sei es als Hobby, als Amateur oder als Profisportler.
Parallel dazu entwickelte ich eine Methode zur strukturellen grafischen Darstellung von Bewegungen in einem Bewegungsraster. Zudem schrieb ich sieben Bücher über Didaktik und Technik im Snowboard- und Skisport.
Bildunterschrift: Plakat vor der Primus Snowboardschule in Lenzerheide – der weltweit ersten Snowboardschule. Aufgenommen auf dem Allalingletscher, späte 1980er Jahre.
Was hat dich damals am Snowboarden am meisten begeistert?
Am meisten hat mich die Bewegung und Dynamik des Snowboardens begeistert. Bis heute empfinde ich es als eine der schönsten Sportarten, da nur wenige Sportarten Dynamik und elegante Bewegungen so miteinander verbinden wie das Snowboarden. Die Fixierung der Füsse und die damit verbundene Kontrolle über das Sportgerät waren ein riesiger Vorteil gegenüber dem Skifahren. Das „Surfen“ auf Schnee brachte für uns jungen Menschen, die in den Bergen lebten, ein Stück Surfer-Lifestyle in unsere Umgebung.
Es war damals extrem aufregend, diesen neuen Sport als Lebensstil in einer rebellischen Gruppe zu erleben. Die Opposition der Skilobby schweisste uns nur noch mehr zusammen, und die Dynamik war nicht nur auf dem Board, sondern auch gesellschaftlich überwältigend. Man gehörte zu etwas Neuem, etwas anderem. Das Establishment wurde herausgefordert, und wir konnten vieles neu erfinden und Bewegungen definieren. Sogar die Skisportwelt übernahm später Elemente wie den Parallelslalom, Boardercross, Halfpipe und Big Mountain Powder. Es war unglaublich, Teil dieser Entwicklung zu sein und sie mitzugestalten – das war eine einmalige Sache.
Was hat dich zur Gründung vom SSBS bewogen?
Der Hauptgrund war – wie so oft – die Unzufriedenheit mit etwas Bestehendem. Der SSBA, der damalige Dachverband, kümmerte sich auch um die Wettkämpfe, was finanzielle Ressourcen aus der Ausbildung abzweigte. Das war unbefriedigend. Deshalb gründete ich den SSBS, um die Ausbildung unabhängig vorantreiben zu können. Bald darauf kamen die Nationalteams und die Trainerausbildung dazu. Während sich der SSBA um Wettkämpfe und den Breitensport kümmerte, widmete sich der SSBS der Aus- und Weiterbildung sowie dem Training.
Nachdem wir die Strukturen geschaffen hatten, übergaben wir sie wieder dem SSBA. Leider geriet der Verband in finanzielle Schwierigkeiten und wurde später von Swiss Ski übernommen. Mein Ziel war es, den Schweizer Snowboardsport international auf dem Podium zu sehen – auch als Werbung für die Schulen.
Dies war meiner Meinung nach das Beste für die Schulen. Sind wir als Schweizer im internationalen Vergleich top, wollen mehr den Sport ausüben, also besser für die Schulen. Wettlauf und die Teams waren für mich das Instrument für das Marketing der Schulen. Ohne viel Geld konnte man mit der Kompetenz der Schulen und dem Training super Werbung machen, wenn man Titel holte. Und das taten wir. Die Schweiz dominierte den Snowboardsport während dieser Zeit wie keine andere Nation.
Bildunterschriften:
1. Verabschiedung von Roland als Technischer Leiter vom SSBS in Saas-Fee, November 2023.
2. Der SSBS-Vorstand dankt Roland herzlich für seinen langjährigen Einsatz. Zum Jahreswechsel 2024 übergab er sein Amt als Technischer Leiter an Lukas Sieber (links neben Roland). Neuer SSBS-Präsident ist Daniel Schmid (hinten rechts im Bild).
Welche Zukunft siehst du für den Beruf des Snowboardlehrers, und welche Rolle wird er in der Weiterentwicklung des Sports spielen?
Wie in vielen Bereichen ist der richtige Zeitpunkt entscheidend, um in eine Sache einzusteigen. Was damals möglich war, ist es heute oft nicht mehr – und umgekehrt. Deshalb kann man aus meiner Erfahrung nicht eins zu eins ableiten, was man heute tun oder lassen sollte, da die Rahmenbedingungen sich verändert haben.
Früher war es fast unmöglich, seinen Lebensunterhalt ausschliesslich durch das Unterrichten von Snowboarden zu bestreiten. Heute gibt es jedoch zahlreiche Möglichkeiten, sich als Trainer oder in Organisationen wie Swiss Snowboard, Swiss Olympic oder Jugend+Sport eine feste Anstellung im Snowboardsport zu sichern. Diese Strukturen gab es früher nicht – sie mussten erst wachsen.
Auch auf der Seite der Profi-Athleten sind die Strukturen heute besser als damals. Doch gleichzeitig sind auch die Anforderungen gestiegen, während Bezahlung und Sponsoring nicht zwangsläufig attraktiver geworden sind. Das ist oft der Fall, wenn ein Sport am Anfang steht: Es gibt viel Potenzial und damit auch mehr finanzielle Mittel.
Ein Bereich, der sich hingegen kontinuierlich stabil entwickelt hat, ist die Snowboard-Industrie. Heute gibt es vielfältige Möglichkeiten, im Sport tätig zu sein – sei es in der Entwicklung, Produktion, im Marketing oder Vertrieb. Wer den Sport leben und damit seinen Lebensunterhalt verdienen möchte, hat hier viele Optionen.
Als Snowboardlehrer war und wird es nur wenigen gelingen, allein davon eine Familie zu ernähren. Die saisonale Ausrichtung macht es schwierig, sodass viele gezwungen sind, eine zusätzliche Tätigkeit zu finden oder zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre zu wechseln, um das ganze Jahr über zu arbeiten.
Dennoch bietet die Ausbildung zum Snowboardlehrer das beste Fundament, um den Sport in seiner ganzen Tiefe zu verstehen. Sie ist die einzige Möglichkeit, Snowboarden wirklich zu „studieren“ – zu lernen, wie es funktioniert, wie es angewendet wird und wie man es lehrt. Dieses Wissen ist essenziell für alle, die in der Branche arbeiten wollen.
Wer weiss, wie Snowboarden funktioniert, kann in vielen Bereichen tätig sein:
- als Trainer
- als Mitarbeiter eines Verbandes
- im Wettkampfbereich und in der Organisation
- in der Industrie, Produktion oder im Vertrieb und Marketing
Deshalb findet man auch heute noch viele ehemalige Snowboardlehrer in Schlüsselpositionen innerhalb des Sports. Sie bringen das Wissen und die Erfahrung mit, die es braucht, um den Sport weiterzuentwickeln.
Bildunterschriften:
1. Powdern in Furcellas, Engadin, späte 1990er Jahre
2. Splitboard-Camp in Grönland, 2014
3. Splitboard-Tour für ein Fotoshooting der Marke Curli.
Rolands neuestes Projekt: Hunde-Geschirre. Gemeinsam mit Mark Zimmermann gründete er Curli, um ihr Wissen aus dem Bergsport in den Alltag von Hunden und ihren Besitzern zu übertragen. Das Ergebnis: Hochleistungs-Hundegeschirre, die Funktionalität, Komfort und Sicherheit vereinen.
4. Eine weitere Leidenschaft: das Fliegen. Hier vor dem Piz Palü – Split & Fly wäre eventuell eine passende Bezeichnung.
5. Roland und seine Ehefrau Claudia
Wie hast du die Gründung von Radical erlebt?
Da ich von Anfang an für Burton gefahren bin, habe ich Radical weniger beachtet – dafür umso mehr den Mann hinter der Marke: Mark Farner. Für mich war Radical = Mark Farner, denn er verstand den Sport so, wie ich es tat. Doch gleichzeitig war er auch mein Konkurrent im Wettkampf.
Mark hatte seine eigenen Boards, die ihm immer wieder Vorteile verschafften. Für mich war Radical deshalb damals eher ein Problem als eine Lösung. Er war auf seinem Board extrem schnell, obwohl er deutlich weniger wog als ich – ich hatte sicher 25 kg mehr auf den Rippen. Es war schwer, ihn zu schlagen, und für mich musste das am Material liegen.
Zum Glück verbrachte Mark viel Zeit in Zürich, wo er seine „Wunderwaffen“ baute, während ich in Laax und Lenzerheide trainierte und meine beiden Snowboardschulen leitete. Der Kernaufbau seiner Boards war so aufwendig und hochwertig, dass es kaum ein anderes Board gab, das so viel Halt bot. Radical war und ist das Board für dynamisches Fahren mit maximalem Grip.
Wie so oft liegt der Unterschied im Detail.
…”Beim Zurückblicken habe ich festgestellt, dass es in meinem Leben drei grosse Lieben gibt: Meine Frau Claudia, das Snowboarden und das Fliegen”…
Wie hat Radical deiner Meinung nach den Sport beeinflusst?
Es gab eine Zeit, in der sich alle Marken an Radical messen lassen mussten, wenn es um Performance ging. Radical war das Mass der Dinge. Mark Farner hat mit seiner Marke der gesamten Industrie gezeigt, was im Brettbau möglich ist und welche Fahreigenschaften ein Snowboard haben kann. Damit hat er dem Sport die Chance gegeben, sich in Richtung mehr Dynamik und Geschwindigkeit zu entwickeln.
Snowboarden ist nicht von selbst so schnell und dynamisch geworden – Radical hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet. Das Surfen im Powder, das mit seinen unendlichen Querlagen und dem fliessenden Carven im Tiefschnee perfekt funktionierte, konnte dank Radical auch auf der Piste erlebt werden. Grip war alles, und Radical machte das Surfen auf der Piste möglich. Kein anderes Board konnte das in dieser Form bieten.
Abschliessend lässt sich mit Sicherheit sagen: Mark Farner hat es mit Radical geschafft, den Surfstyle im Snowboarden auf die Piste zu bringen und gleichzeitig den Grundstein für das moderne Carven zu legen. Mark war ein Surfer – und einer, der das Carven auf der “frozen wave” gesucht und gefunden hat.
Dafür danke ich ihm – und Radical.
Gibt es besondere Momente oder Anekdoten mit Mark Farner, die du mit uns teilen möchtest?
Einer der eindrucksvollsten Momente war, als Mark seine Diplomarbeit vorstellte. Als damaliger Sportstudent schrieb er seine Masterarbeit über die biomechanischen Aspekte der Entlastungsformen im Snowboarden. Für mich ist dieses Ereignis ein Meilenstein in der Geschichte des Sports.
Mit seinem Hintergrund im Skaten und Snowboarden zeigte er einen völlig neuen Weg auf – ein Verständnis für Bewegungsabläufe, das nicht nur für Snowboarden, sondern für viele andere Sportarten wegweisend war. Ich denke, das ist eine seiner grössten Leistungen – und gleichzeitig eine der am meisten verkannten.
Seine Erkenntnisse waren so phänomenal, dass sie kaum jemand verstand. Der etablierte Skisport hat Jahrzehnte gebraucht, um sie überhaupt zu begreifen.
Für mich als Wettkämpfer war Radical, wie bereits erwähnt, oft ein Problem – aber Mark Farner war die Lösung. Nur blieb sein wahres Genie den meisten verborgen.
Möchtest Du zum 40-jährigen Jubiläum von Radical eine Nachricht an uns richten?
Keep surfing. Jede Snowboard-Karriere beginnt mit einem Frontside- und einem Backside-Turn und endet damit. Alles dazwischen ist schön, aber nicht wesentlich, um Snowboarder zu werden. Keep on carving your turns in the frozen wave.
Zum Abschluss: Am Ende des Interviews, nachdem wir die Bilder gesichtet und zusammengestellt hatten, teilte Roland mit uns einen schönen Schlusssatz:
..”Beim Zurückblicken habe ich festgestellt, dass es in meinem Leben drei grosse Lieben gibt: Meine Frau Claudia, das Snowboarden und das Fliegen”…
Herzlichen Dank für das Interview Roland!
Bild: Roland Primus – auch heute ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann.
Radical Legends: Unsere Geschichte, erzählt von denen, die sie geprägt haben
Zum 40-jährigen Jubiläum haben wir uns auf eine Reise in die Vergangenheit begeben und einige ausgewählte Radical Legenden aus unserer bewegten Geschichte aufgesucht.
Mit grosser Freude laden wir euch ein, gemeinsam mit uns in die Geschichte einzutauchen und die besonderen Momente wieder aufleben zu lassen. Bis zum Ende des Winters werden wir weitere spannende Gespräche veröffentlichen – also bleibt dran und lasst euch inspirieren!
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